Die TH Lübeck, Labor für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik, betreibt seit 2005 auf dem Gelände der kommunalen Kläranlage der Stadt Reinfeld eine Versuchs- und Ausbildungskläranlage (VAK). Ziel der Anlage ist u.a. die Erprobung neuartiger Technologien, die eine verbesserte und effizientere Reinigung von (kommunalem) Abwasser ermöglicht. Die VAK dient überdies im Rahmen von Praktika, Bachelor-/Masterarbeiten und F&E-Projekten der Ausbildung des akademischen Nachwuchses im Bereich des technischen Gewässerschutzes.
Die derzeit auf der VAK vorhandene Anlagentechnik (Belebtschlammverfahren) entspricht dem Stand der Technik der 1990er Jahre. Sie erlaubt vorrangig die Minimierung des Nährstoffgehaltes zum Schutz der Gewässer gegenüber einer Eutrophierung oder einem akuten Sauerstoffdefizit. In den vergangenen Jahren wurden in der Fachwelt allerdings zunehmend weitergehende Probleme hinsichtlich des Umgangs mit Abwasser und der notwendigen Reinigungsleistung identifiziert. Hierzu zählen insbesondere folgende Themenfelder:
- Der Rückhalt von Spurenstoffen, die bisher nicht vollständig in der kommunalen Abwasserreinigung zurückgehalten werden und die nachweislich zu einer negativen Beeinflussung der Ökosysteme in den Gewässern führen können. Zu den Spurenstoffen gehören bspw. Pflanzenschutzmittel, Schwermetalle, Arzneimittel oder Putzmittel.
- Der Rückhalt von Mikroplastik, das als Quelle von Weichmachern (Phtalate etc.) oder als Träger weiterer Spurenstoffe, die sich an die Oberfläche der Partikel anlagern, problematisch für die aquatische Umwelt sein können.
- Der Rückhalt von (multiresistenten) Keimen, für die keine oder nur noch wenige Antibiotika zur Verfügung stehen und die aktuell zu gewissen Anteilen durch Kläranlagen in die Gewässer eingetragen werden.
„Es ist enorm wichtig, dass wir diese Stoffe zurückhalten, weil unser Abwassersystem ansonsten ein offenes System wäre. Das heißt: alle Stoffe, die aus der Stadt entwässert werden, können dann potenziell in die Gewässer gelangen“, sagt Prof. Matthias Grottker, Leiter des Labors für Siedlungswasserwirtschaft der TH Lübeck.
Zum gezielten Rückhalt von Spurenstoffen wurden bereits bspw. in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen kommunale Kläranlagen mit Verfahren der sog. 4. Reinigungsstufe erweitert, die notwendig sind, um Spurenstoffe gezielt aus dem Abwasser zu entfernen. Hierzu zählen die Aktivkohle-Behandlung und die Ozonung. Lösungsansätze wie Membranverfahren oder Verfahrenskombinationen der zuvor genannten Verfahrenstechniken wurden bislang nicht auf kommunalen Kläranlagen implementiert. Je nach gewähltem Verfahren werden ebenfalls Mikroplastik-Partikel und/oder (multiresistente) Keime aus dem Abwasser entfernt.
Das Land Schleswig-Holstein hat vor diesem Hintergrund am heutigen Tag einen Förderbescheid an die TH Lübeck übergeben, um die bestehende VAK um verschiedene Module der 4. Reinigungsstufe zu erweitern. Die geplante Investition ermöglicht eine zeitgemäße Bearbeitung abwassertechnischer Fragestellungen und ist somit zukunftsweisend für die Abwasserbehandlung in Schleswig-Holstein in den kommenden Jahrzehnten. Die VAK versteht sich dabei als zentrale Anlaufstelle für Fragestellungen bezüglich der 4. Reinigungsstufe auf kommunalen Kläranlagen im Land Schleswig-Holstein. Des Weiteren können die Kläranlagenbetreiber in Schleswig-Holstein die neuen innovativen Verfahren bzw. Verfahrenskombinationen kennenlernen und den Umgang mit der Technik erlernen. Zudem kann die mobile Lösung auf der VAK dazu genutzt werden, die einzelnen Verfahren oder auch Verfahrenskombinationen testweise auf kommunalen Kläranlagen in Schleswig-Holstein einzusetzen und mit deren spezifischen Abwasserzusammensetzung zu erproben. Dies betrifft vor allem Kläranlagen, die die Absicht haben, ihre Kläranlage mit einer 4. Reinigungsstufe nachzurüsten. Die Kläranlagenbetreiber können durch die VAK soweit unterstützt werden, dass eine möglichst effektive und wirtschaftliche Verfahrenslösung gefunden wird.
Die Bewilligung der Fördermittel i.H.v. 700.000 Euro für die Erweiterung der VAK erfolgt aus EU-Mitteln des Wiederaufbaufonds (EURI), die über das Landesprogramm für die Entwicklung des ländlichen Raums Schleswig-Holstein (LPLR) zur Verfügung gestellt wurden. Die Bewilligung erfolgt gemäß der „Richtlinie zur Förderung von Maßnahmen zur Abwasserbehandlung in Schleswig-Holstein“ vom 24. Oktober 2021.
Technische Hochschule Lübeck
Mönkhofer Weg 239
23562 Lübeck
Telefon: +49 (451) 3006
Telefax: +49 (451) 300-5443
http://www.th-luebeck.de
E-Mail: matthias.grottker@th-luebeck.de
E-Mail: kai.wellbrock@th-luebeck.de
Kommunikationsreferentin I PR Referent
Telefon: +49 (451) 300 5025
E-Mail: johanna.helbing@th-luebeck.de