Studie: Junge Menschen in 13 EU-Ländern lehnen Überwachung von Online-Kommunikation ab

Eine neue Studie zeigt, dass 80 % der Jugendlichen im Alter von 13 bis 17 Jahren aus 13 EU-Mitgliedstaaten sich nicht wohl dabei fühlen würden, politisch aktiv zu sein oder ihre Sexualität zu erkunden, wenn Unternehmen oder Behörden ihre digitale Kommunikation überwachen könnten, um nach sexuellem Kindesmissbrauch zu suchen.

Diese Umfrageergebnisse kommen zu einem wichtigen Zeitpunkt, da das Europäische Parlament über den Vorschlag der Europäischen Kommission zur „Festlegung von Vorschriften zur Verhütung und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“ (CSA-Verordnung) verhandelt. Dieser Vorschlag wird auch als Chatkontrolle bezeichnet, da die EU-Kommission vorschlägt sämtliche private und öffentliche Kommunikation zu durchleuchten, durch Client-Side-Scanning die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung auf Endgeräten auszuhebeln und mit erweiterten Uploadfiltern, mit Alterskontrollen für Onlinedienste und mit Netzsperren die freie Internetnutzung zu beschränken.

Konstantin Macher, Digitalcourage e.V., zu den Ergebnissen der Umfrage:

„Der Jugend ist ihr Recht auf Privatsphäre wichtig. Die Maßnahmen aus dem Überwachungspaket der von-der-Leyen-Kommission würde Jugendliche davon abhalten, sich politisch zu engagieren und ihre Persönlichkeit frei zu entfalten. Junge Menschen wollen keine Chatkontrolle und die EU-Kommission sollte jetzt darauf hören.“

Über die Umfrage

Die repräsentative Umfrage wurde von European Digital Rights (EDRi) und Mitgliedern der Piratenpartei im Europäischen Parlament in Auftrag gegeben.

  • Die Befragung umfasste mehr als 8000 junge Menschen in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, der Tschechischen Republik, Spanien, Österreich, Schweden, Italien, Polen, Ungarn, der Slowakei und Griechenland.
  • 66% der Befragten sind nicht damit einverstanden, dass Internetanbieter ihre digitale Kommunikation auf verdächtige Inhalte überwachen
  • 67 % vertrauen auf verschlüsselte Kommunikations-Apps wie Whatsapp oder Signal
  • 56 % halten ihre Anonymität für entscheidend für ihren Aktivismus und für die politische Organisation unter Gleichaltrigen
  • 1 von 3 Befragten nutzt Kommunikations-Apps, Dating-Apps oder andere Apps, um intime Fotos zu versenden
  • 43 % der Befragten forderten alternative Maßnahmen gegen die Gefahren des Internets wie „Verbesserung der Medienkompetenz und Aufklärung der Jugendlichen unter 18 Jahren über die Risiken und ihre angemessene Reaktionen darauf“, während 37 % eine „Verbesserung der Mechanismen, mit denen junge Menschen Fälle von Grooming melden können, und Gewährleistung einer angemessenen und wirksamen Weiterverfolgung“ forderten.
  • Nur 2 % der Minderjährigen sind der Meinung, dass das Scannen der gesamten privaten Kommunikation auf schädliches Material das wirksamste und geeignetste Mittel ist, um sie vor Schaden im Internet zu schützen.

Im Mai 2022 hat die Europäische Kommission eine Verordnung mit Vorschriften zur Verhütung und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet vorgeschlagen, die auch Maßnahmen vorsieht, welche die sichere Kommunikation aller gefährden. Das vorgeschlagene Gesetz verspricht, Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen, indem verschlüsselte, sichere Kommunikation geknackt wird. Expert.innen zeigen jedoch, dass das Untergraben von Verschlüsselung das Internet in einen Raum verwandeln wird, der für die Privatsphäre, die Sicherheit und die freie Meinungsäußerung aller gefährlich ist. Dies gilt auch für die Kinder, die mit dieser Gesetzgebung eigentlich geschützt werden sollten. So erklärte Joachim Türk, Vorstand des Deutschen Kinderschutzbunds zuletzt bei einer Anhörung im Bundestag, dass die Pläne weder verhältnismäßig noch zielführend sind. Dort erklärte er am 1. März: „Kinderrechte brauchen beides: das Recht auf körperliche Unversehrtheit, aber auch das Recht auf geschützte Kommunikation.”
Link zur Anhörung: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw09-pa-digitales-928540

Wird die EU auf die Jugend hören?

Das Gesetzgebungsverfahren befindet sich in einer kritischen Phase. Diese Umfrage zeigt, dass junge Menschen die Massenüberwachungsmaßnahmen in der CSA-Verordnung ablehnen und ihr Anspruch auf ein sicheres und privates Internet geschützt werden muss. Das Europäische Parlament hat die Möglichkeit, die Stimme junger Menschen zu stärken und ihr Recht auf Selbstbestimmung zu gewährleisten. Der Deutschen Bundesregierung und dem Bundestag kommen dabei Schlüsselrollen zu.

Konstantin Macher, Digitalcourage e.V., fordert:

„Deutschland muss in der EU endlich auf einen effektiven Grundrechtsschutz hinwirken. Junge Menschen brauchen Privatsphäre und Sicherheit im Internet. Da sich das Bundesinnenministerium um eine klare Ablehnung der Chatkontrolle drückt, sollte der Bundestag jetzt endlich eine Resolution nach Artikel 23 des Grundgesetzes verabschieden und damit den Interessen der Jugendlichen Gehör schaffen."

Nach Artikel 23 des Grundgesetzes kann der Bundestag Stellungnahmen zu europapolitischen Angelegenheiten beschließen. Diese sind rechtlich nicht bindend, müssen aber von der Bundesregierung in Verhandlungen auf EU-Ebene berücksichtigt werden. Das ist dringend nötig, um auf eine grundrechtskonforme Politik Deutschlands zum Verordnungsentwurf der EU-Kommission hinzuwirken. Die EU sollte eine Alternative zur CSA-Verordnung anstreben, die Kinder schützt und gleichzeitig die Vertraulichkeit und Sicherheit im Internet wahrt.

Mehr Informationen und die Rohdaten der Studie

Über „Stop Scanning Me“ und „Chatkontrolle STOPPEN!“
Im Juni 2022 forderte eine Koalition aus 118 Organisationen der Zivilgesellschaft die Rücknahme des CSAR-Vorschlags. Jetzt ist die Koalition auf 125 Organisationen angewachsen und hat eine Petition zur Sammlung von Einzelunterschriften gegen die in der CSA-Verordnung vorgeschlagenen Maßnahmen gestartet. Die Bemühungen sind Teil der paneuropäischen Kampagne „Stop Scanning Me“. In Deutschland koordinieren Digitalcourage, die Digitale Gesellschaft und der Chaos Computer Club das Bündnis „Chatkontrolle STOPPEN!“. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen und auch die Jugendorganisationen mehrerer Parteien haben sich dem Bündnis gegen die Überwachungspläne der von-der-Leyen-Kommission angeschlossen.

EDRi
EDRi („European Digital Rights”) ist der Dachverband von über 40 europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für eine grundrechtewahrende Digitalpolitik einsetzen. Zu ihren Mitgliedern gehören auch die Organisationen Digitalcourage, die Digitale Gesellschaft und der Chaos Computer Club, welche gemeinsam die deutsche Kampagne „Chatkontrolle STOPPEN!“ koordinieren.

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