Hierzu werteten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des IQWiG insgesamt 585 Empfehlungen aus 14 evidenzbasierten Leitlinien aus, zu denen unter anderem auch die aktuelle Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) 2022 und die Leitlinie NICE (National Institute for Health and Care Excellence) 2022 zählten. Ihr Fazit: Fast alle Versorgungsaspekte der derzeit geltenden Anforderungsrichtlinie für das Disease-Management-Programm (DMP) Depression weichen von den aktuellen Leitlinien ab. Zwei zusätzliche Versorgungsaspekte sollten aufgenommen werden.
Im Zuge des Stellungnahmeverfahrens hat das IQWiG seine Leitlinien-Synopse überarbeitet: Eine Leitlinie, deren Evidenzbasierung nicht abschließend beurteilt werden konnte, wird zwar weiterhin berücksichtigt, deren Inhalte aber farblich von jenen abgegrenzt, die aus sicher evidenzbasierten Leitlinien stammen. Der jetzt vorgelegte Abschlussbericht des IQWiG dient dem G-BA als wissenschaftliche Grundlage für die Aktualisierung des DMP Depression.
Das DMP Depression ist auf unipolare Depression begrenzt
Depressionen sind psychische Störungen, deren Hauptsymptome eine über einen längeren Zeitraum gedrückte Stimmung, Interessenverlust und Antriebsminderung sind. Als Zusatzsymptome können Selbstwertverlust, unangemessene Schuldgefühle, Schlaf- und Appetitstörungen oder auch wiederkehrende Gedanken an den Tod bzw. einen möglichen Suizid auftreten. Depressionen schränken die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität stark ein und gehen mit einer hohen individuellen Krankheitslast einher. So gehört laut der World Health Organization (WHO) die Depression zu den 20 führenden Ursachen, die zu verlorenen gesunden Lebensjahren führen. Und in einer deutschen Langzeit-Bevölkerungsstudie (Gesundheitsstudie, ehemals Nationale Kohorte) berichteten 15 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer davon, im Laufe ihres Lebens bereits eine ärztliche Diagnose Depression erhalten zu haben.
DMPs sind strukturierte Behandlungsprogramme für chronisch kranke Menschen, die auf den Erkenntnissen der evidenzbasierten Medizin beruhen und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Ziel von DMPs ist es unter anderem, die Behandlung zu optimieren, die Zusammenarbeit der Leistungserbringer zu fördern und somit diagnostische und therapeutische Abläufe besser miteinander zu verzahnen. Die inhaltlichen Anforderungen an ein DMP sind in der DMP-A-RL geregelt. Das DMP Depression ist auf die häufigste depressive Erkrankung, die sogenannte unipolare Depression, begrenzt.
Überarbeitungsbedarf bei fast allen Aspekten – zwei neue Aspekte identifiziert
Als Ergebnis ihrer Leitlinienrecherche halten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG fest, dass fast alle Versorgungsaspekte des DMP Depression von den aktuellen Leitlinienempfehlungen abweichen. Dies betrifft vor allem die Therapiegrundsätze in Abhängigkeit vom Schweregrad, vom Erkrankungsverlauf und vom Alter sowie die Verlaufskontrolle bei medikamentöser Behandlung. Dabei begründen sich die Diskrepanzen bei dem Versorgungsaspekt „Therapiegrundsätze in Abhängigkeit vom Alter“ unter anderem auch in den unterschiedlichen Angaben zu Altersgrenzen in den ausgewerteten Leitlinien.
In Deutschland können derzeit gemäß Psychotherapie-Richtlinie die Verhaltenstherapie, die psychoanalytisch begründeten Verfahren (tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie) sowie die systemische Therapie im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden. Die ausgewerteten Leitlinien thematisieren darüber hinaus aber auch die interpersonelle Therapie und die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie als weitere Behandlungsoptionen im Rahmen der Psychotherapie.
Zudem identifizierte das IQWiG-Projektteam zwei zusätzliche Versorgungsaspekte, die bisher nicht im DMP Depression angesprochen werden: die „neurostimulatorischen Verfahren“ und die „digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA)“.
Zum Ablauf der Berichterstellung
Der G-BA hat das IQWiG am 21.04.2022 mit einer Leitliniensynopse zur Aktualisierung des DMP Depression beauftragt. Die vorläufigen Ergebnisse, den Vorbericht, veröffentlichte das IQWiG im Februar 2023 und stellte sie zur Diskussion. Nach Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Bericht überarbeitet und im Juni 2023 als Abschlussbericht an den Auftraggeber versandt. Die eingereichten schriftlichen Stellungnahmen zum Vorbericht werden in eigenen Dokumenten zeitgleich mit den Abschlussberichten publiziert. In die Bearbeitung der Projekte hat das Institut einen externen Sachverständigen eingebunden.
Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können.
Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Siegburger Str. 237
50679 Köln
Telefon: +49 (221) 35685-0
Telefax: +49 (221) 35685-1
http://www.iqwig.de
Stabsbereich Kommunikation
Telefon: +49 (221) 35685-0
E-Mail: jens.flintrop@iqwig.de