Eröffnungsvortrag der Ministerin für Justiz und Gesundheit, Schleswig-Holstein
Mit Spannung wurde der hochaktuelle Vortrag von Prof. Dr. Kerstin von der Decken, Ministerin für Justiz und Gesundheit in Schleswig-Holstein, zur Eröffnung der 75. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie erwartet. Im Audimax der Universität zu Lübeck setzte sie sich mit einer der meistdiskutierten Rechtsfragen auseinander: der Einschränkung von Freiheiten und Grundrechten in der Coronavirus-Pandemie. „Sie ist eine der wenigen, die durchblickt, wann der Infektionsschutz über dem Grundrecht steht“, betonte Prof. Fickenscher in der Vorstellung der Jura-Professorin und für den öffentlichen Infektionsschutz zuständige Ministerin Schleswig-Holsteins
Auf diese hochkarätige Kongresseinführung folgten weitere aktuelle Schwerpunkte mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Trends in den Bereichen Hygiene und Mikrobiologie. Absolutes Highlight waren die ganzheitlichen Diskussionen und Gespräche rund um das aktuelle Thema One Health mit vielfältigen Aspekten rund um das Thema antimikrobielle Resistenzen (AMR) von der Grundlagenforschung bis hin zu alternativen Therapieansätzen, Diagnostik und Infektionsschutzmaßnahmen.
Aktuelle Entwicklungen des One-Health-Konzepts
Mit dem Tagungsschwerpunkt „One-Health-Konzept im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und Übertragung von Infektionserregern“ knüpfte der Jahreskongress der DGHM als das aktuellste Diskussionsforum mikrobiologischer und infektiologischer Fragestellungen an das an, was seit der Corona-Pandemie allgemeines Bewusstsein geworden ist: wie eng die Gesundheit von Mensch und Tier in einer gemeinsamen Umwelt voneinander abhängen. „In den letzten Jahren beschäftigen sich vermehrt Studien mit der Verbreitung von antibiotikaresistenten Erregern an der Schnittstelle dieser drei Disziplinen, was sich auch in den gestiegenen Fördermöglichkeiten zum Thema One Health widerspiegelt“, soProf. Schaufler. Entscheidend sei es zu erkennen, dass die „stille Pandemie“ nur in einem ganzheitlichen und gemeinsamen Ansatz erfolgreich bekämpft werden kann. In vielfältigen Diskussionen wurde deutlich, dass der One-Health-Ansatz als gemeinsame internationale und interdisziplinäre Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Ansätze eine immer größere Rolle spielt: um Infektionserkrankungen zu vermeiden und um Antibiotikaresistenzen und multiresistenten Erregern entgegenzuwirken.
Die Empfehlung zur Intensivierung der EU-Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Rahmen des One-Health-Konzepts am 13. Juni 2023 in Brüssel, nach der bis 2030 der Antibiotikaverbrauch beim Menschen um 20% gesenkt und die antimikrobiellen Mittel für Nutztiere und in der Aquakultur um 50 % verringert werden sollten, erschien den Expert:innen angesichts bereits weltweit zirkulierender Erreger als unzureichend. Wie Prof. Schaufler betonte, seieine Reduktion des massiven Einsatzes von Antibiotika in der EU sowohl bei Menschen als auch Tieren zwar ein wichtiger Schritt, reiche aber nicht aus, um die rapide Verbreitung von antibiotikaresistenten Erregern zu unterbinden und „ein reduzierter Antibiotikaeinsatz führt leider nicht automatisch zu einer reduzierten AMR-Verbreitung“. Zu einem verantwortungsvollen Umgang mit antimikrobiellen Substanzen gehöre beispielsweise auch die Erforschung alternativer therapeutischer Ansätze und die Etablierung adäquater Präventionsmaßnahmen.
Es fehlten immer noch wichtige Erkenntnisse zur Entstehung von AMR, um geeignete Maßnahmen durchzusetzen, so Prof. Rupp: „Wir wissen auch noch viel zu wenig darüber, wie das Mikrobiom im Darm auch die Entstehung von Resistenzen bei Bakterien im Darm verhindern könnte und dazu führt, dass resistente Erreger weniger gut den Darm kolonisieren.“ In der Plenarsitzung „Kolonisierungsresistenz und mikrobielle Netzwerke“ ging es darum zu verstehen, ob ein resistenter Keim überhaupt eine Chance hat, sich dauerhaft im Mikrobiom festzusetzen oder nur während einer Antibiotikatherapie auftaucht und nach Beendigung wieder von der gesunden Flora des Patienten verdrängt wird: „Ein besseres Verständnis, wie eine solche Nische von Bakterien besetzt oder auch verteidigt wird, kann helfen, neue Therapieansätze zu entwickeln, um resistenten Erregern möglichst wenig Gelegenheit zu geben, sich dauerhaft festzusetzen.“
One-Health-Ansatz im Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen (AMR)
Entwicklung und Entstehung von AMR und die Übertragung ins One-Health-Konzept waren vieldiskutierte Kongressthemen. Der dringende Forschungs- und Handlungsbedarf wurde deutlich, zumal die weltweiten antimikrobiellen Resistenzen als Folge des übermäßigen Einsatzes antimikrobieller Mittel in der Gesundheitsversorgung und in der Lebensmittelerzeugung jetzt auch von der WHO als eine der größten Gesundheitsgefahren angesehen werden. Immer mehr Mikroorganismen entwickeln die Fähigkeit zu überleben, obgleich ein antimikrobiell wirkender Stoff eingesetzt wird, der sie normalerweise abtötet. Weil etliche Medikamente nicht mehr gegen Infektionskrankheiten wirken, sterben in der EU jedes Jahr mehr als 35.000 Menschen.
„Wir befinden uns am Anfang der sogenannten ‚postantibiotischen Ära‘ mit teils panresistenten Bakterien, gegen die fast keine verfügbaren Antibiotika mehr wirksam sind. Die Entwicklung neuer antimikrobieller Wirkstoffe stagniert, während sich multiresistente Erreger rapide vermehren und weiterverbreiten“, so Prof. Fickenscher. Antibiotikaresistente Erreger stellen eine Gesundheitsgefahr für Mensch und Tier dar, wenn bald auch „harmlosere“ Infektionskrankheiten wie Harnwegsinfekte nicht mehr zuverlässig therapiert werden können. „Das Fehlen effektiver Antibiotika kann sogar scheinbar banale bakterielle Infektionen lebensbedrohlich machen“, so Prof. Nurjadi. Darüber hinaus verursachen Infektionen durch antibiotikaresistente Bakterien enorme finanzielle Belastungen für das Gesundheitssystem. Prof. Rupp verwies auf Gefahren bei zunehmender Resistenzentwicklung für die älter werdende Gesellschaft in Industrieländern und weltweit: „In Entwicklungs- und Schwellenländern bewirken aufgrund der verminderten Verfügbarkeit von Antibiotika bereits auch schon wenig resistente Erreger massive Probleme in der Therapie von Infektionskrankheiten. Zugleich entstehen besonders gut multiresistente Keime, die dann global verbreitet werden.“
Neue antimikrobielle Strategien: Phagen, Pathoblocker und Verwandte
Vor dem Hintergrund, dass das „goldene Zeitalter“ der Antibiotikaforschung vorbei ist, wurden neue antimikrobielle Strategien unter dem Schwerpunkt „Phagen, Pathoblocker und Verwandte“ vorgestellt und diskutiert. Beim Versuch, mit immer zielgerichteteren Therapien Nebenwirkungen von breit wirksamen Antibiotika zu vermeiden, „setzt die Phagentherapie an, die sehr spezifisch mit dem krankmachenden Erreger interagiert“, wie Prof. Rupp betonte.Allerdings sei die Anwendung einer solchen Therapie bei verschiedenen unbekannten Erregern noch nicht genügend erforscht. Mit einem neuen Ansatz werde versucht, von der Evolution der Bakterien zu lernen und Mechanismen zu nutzen, die ein zunehmend resistenter Erreger verändert hat, um besser überleben zu können. Daraus könnten dann neue Angriffspunkte für eine Therapie entwickelt werden.
Der hohe Stellenwert alternativer Strategien im Kampf gegen antibiotikaresistente Erreger, bei denen Phagentherapien und Antivirulenzansätze eine wichtige Rolle spielen, beschäftigt auch Prof. Schaufler und ihre BMBF-Nachwuchsgruppe, die „Erfolgsmarker“ bei global verbreiteten AMR-Erregern identifiziert: „Diese sollen prospektiv dafür genutzt werden, um diese Pathogene mit Naturstoffen zu entwaffnen, wohingegen das gesunde Mikrobiom nicht adressiert wird. Das soll in einem weiteren Schritt dazu dienen, dass das Immunsystem bestenfalls agieren und die akute Infektion eliminieren kann.“
Neben den Fortschritten im Bereich der Phagen und Pathoblocker stellte Prof. Nurjadi neue Ansätze für Kombinationstherapien vor, bei denen verschiedene antimikrobielle und nicht-antimikrobielle Substanzen miteinander kombiniert werden, um die Effektivität zu steigern und gleichzeitig die Entstehung von Resistenzen zu minimieren. Vielversprechend sei „die personalisierte Medizin, bei der die antimikrobielle Strategie anhand der individuellen Eigenschaften des Patienten und des Erregers maßgeschneidert werden kann, unter Berücksichtigung von Faktoren wie der Zusammensetzung der Mikrobiota, Dauermedikation und Grunderkrankungen“.
Digitalisierung und globale Gesundheitsherausforderungen
So war auch das große Thema Digitalisierung – nicht nur von Infektionsschutzmaßnahmen, sondern ganz prinzipiell im Bereich der Medizin – angesichts des großen Nachholbedarfs in Deutschland ein wichtiger Tagungsschwerpunkt. Dazu Prof. Rupp: „Ganz zentrale Fragen zur Erfassung von Belegungszahlen, Krankheitsverläufen über verschiedene Kliniken und Sektoren wie ambulant, stationär sind weiterhin nicht gelöst und die Umsetzung verläuft extrem schleppend. Obwohl unterschiedliche Förderinitiativen gestartet wurden, fehlt hier der große Wurf, um einen Standard für alle Kliniken zu schaffen.“ Auch bei diesem Kongressthema wurden die ersten Pflöcke gesetzt.
Insgesamt kam in der Diskussionsfreudigkeit, den vielen Gesprächen und Vernetzungen auf allen Ebenen zum Ausdruck, dass die vereinten Kräfte der vier Kongresspräsidenten ihr Ziel erreicht haben, resümiert von Prof. Schaufler: „die Gelegenheit, das Bewusstsein zu vertiefen, dass sowohl Human- und Veterinärmediziner:innen als auch andere Wissenschaftler:innen mit Stakeholdern und Politiker:innen zusammenarbeiten müssen, um globalen Gesundheitsherausforderungen adäquat zu begegnen.“
Ausblick: DGHM 2024 in Würzburg
Die spannenden Diskussionen im Bereich Hygiene und Mikrobiologie können vom 2. – 5. Juni 2024 bei der 76. DGHM-Jahrestagung fortgesetzt werden, die als 7. Gemeinsame Tagung mit der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) in Würzburg durchgeführt wird. Tagungspräsidentin Prof. Dr. Cynthia Sharma, Molekulare Infektionsbiologie II (IMIB), Universität Würzburg, und Tagungspräsident Prof. Dr. Oliver Kurzai, Medizinische Mikrobiologie und Mykologie an der Universität Würzburg, laden schon jetzt sehr herzlich zum Kongress ein.
Conventus Congressmanagement & Marketing GmbH
Carl-Pulfrich-Straße 1
07745 Jena
Telefon: +49 (3641) 311-60
Telefax: +49 (3641) 311-6241
http://www.conventus.de
PR Leiterin
Telefon: +49 (172) 3516916
E-Mail: kerstin.aldenhoff@conventus.de
Mitarbeiterin Presse
Telefon: +49 (3641) 3116-281
Fax: +49 (3641) 3116-243
E-Mail: katrin.franz@conventus.de