Buchrezension: Ronja von Wurmb-Seibel: Zusammen
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ISBN-10: 3466373263
ISBN-13: 978-3466373260
Allein geht es nicht. Menschen brauchen Menschen. Doch echter Zusammenhalt ist in der modernen Gesellschaft so bedroht wie nie, trotz zunehmender Vernetzung. Individualismus, Wettbewerb und Nonkonformismus lassen vergessen, wie wichtig ein kollektives WIR ist.
Ronja von Wurmb-Seibel widmet sich in ihrem neuen Buch diesem Phänomen und zeigt auf, wie Zusammenhalt auch heute noch gelingen kann. Mit Fakten, persönlichen Beispielen und aufschlussreichen Zitaten will die Autorin zeigen, wie es möglich ist, der Entfremdung entgegenzuwirken und die Zukunft für uns Menschen besser werden zu lassen. Eines unserer größten Grundprobleme ist der Mangel an Verbundenheit, so ihre These. Klimakrise, Rassismus, Armut und Krieg seien Folgen individueller und kollektiver Einsamkeitserfahrungen. Man könne aber persönlich daran arbeiten, sich weniger einsam zu fühlen. Stilistisch ist das Buch ein aktivistisches Buch im Gewand eines Selbsthilfe-Ratgebers (S. 20) für Betroffene und Nichtbetroffene.
Zum Buch
Ronja von Wurmb-Seibel ist Journalistin und Filmemacherin. Das Buch Zusammen umfasst 224 Seiten mit Literaturhinweisen und Quellenangaben. In acht Kapiteln wird das Thema lose umrissen und persönlich zugespitzt. Kapitel eins beschreibt das Problem, Kapitel zwei die Folgen. Kapitel drei widmet sich den möglichen Gründen. Kapitel vier erklärt das Geheimnis des gesunden Älterwerdens. Kapitel fünf sucht nach Möglichkeiten des „Connecting“ im Alltag. Die Kunst, Verbündete zu finden, wird in Kapitel sechs vorgestellt. In Kapitel sieben lernen wir, eine Community zu starten, und in Kapitel acht werfen wir einen Blick in die Zukunft. Jedes Kapitel endet mit Experimenten für den Alltag, die Fragen zur Reflexion enthalten.
Im Jahr 2023 fühlte sich laut „Deutschland-Barometer Depression“, einer jährlichen Umfrage, jeder vierte Deutsche einsam, unabhängig von der Anzahl der sozialen Kontakte. Bei der Telefonseelsorge war Einsamkeit im Jahr 2023 das häufigste Thema (S. 13). Studien zeigen, dass Einsamkeit ein ähnlich hohes Gesundheitsrisiko darstellt wie Rauchen und Alkoholismus (S. 15). Die Qualität unserer sozialen Beziehungen hat einen großen Einfluss auf unsere geistige Gesundheit und verzögern das Altwerden. Soziale Medien und die Mediennutzung im Allgemeinen haben auch einen Einfluss auf den Gemütszustand des Menschen. So steigt mit zunehmender Nutzung das Risiko für Depressionen und Angstzustände (S. 114).
Einsamkeit sei jedoch keine Krankheit, sondern ein inneres Signal, das zum Handeln auffordere (S. 76). Die Fähigkeit zu sozialem Handeln sei uns in die Wiege gelegt. Zeitmangel und fehlender Mut verhinderten jedoch Mitmenschlichkeit und das Erleben von Verbundenheit. Fehlende Freiräume und kapitalistische Zwänge stünden dem ebenfalls im Wege. Auch Heldengeschichten hinderten uns daran, gesellschaftliche Teilhabe zu leben, da sie Passivität förderten. Die Teilnahme an sozialen Medien erschwere es uns darüber hinaus, qualitative Beziehungen zu gestalten. Soziale Medien könnten helfen, Gleichgesinnte zu finden und in Kontakt zu bleiben, aber langfristig müssten wir uns offline vernetzen, weil nur dort alle Sinne angesprochen würden. Der Schlüssel liege in der persönlichen Begegnung. Je öfter wir uns mit allen Sinnen begegnen würden, desto verbundener würden wir uns fühlen (S. 122-123).
Verbundenheit könne spontan entstehen, aber auch gezielt aufgebaut werden. Communitybuilding, also der Aufbau von Gemeinschaft, geschehe nach bestimmten Kriterien, wobei das „sich umeinander Kümmern“ entscheidend sei. Gemeinsame Werte müssten erarbeitet und sinnstiftende Rituale eingeführt werden, um ein Gefühl der Stabilität zu erzeugen. Außerdem brauche jede Community einen Ort, an dem Menschen zusammenkommen können. Dieser könne wechseln, wichtig sei jedoch die Begegnung von Angesicht zu Angesicht. Offen gehaltende Symbole stifteten zudem Verbundenheit. Dennoch müsse man akzeptieren, dass manche Communities zeitlich begrenzt seien und sich auch wieder auflösen könnten. Geteilte Freude und Selbstakzeptanz seien Grundvoraussetzungen für das Gefühl der Zugehörigkeit, denn unser Zugehörigkeitsgefühl könne nie größer sein als unsere Selbstakzeptanz (S. 181).
Zum Punkt
Das Buch hat eine deutlich aktivistische Note und ist vor dem Hintergrund der heutigen Gesellschaft geschrieben. Klimakrise, Kapitalismuskritik, Diversität, gesellschaftliche Krisen wie z.B. die Corona-Krise sind allgegenwärtig und fordern zu einem „Dennoch“ heraus. Die gut recherchierten Fakten überzeugen und die vielen persönlichen Beispiele machen Mut, sich persönlich zu engagieren und Communitybuilding zu betreiben. Allerdings kommen Kirchen im Buch generell nicht gut weg. So wird ein Wissenschaftler zitiert, der auf die Diskrepanz zwischen gelebten und postulierten Werten in religiösen Gemeinschaften hinweist (S. 168). Hier müssten religiöse Gemeinschaften noch nachlegen, um wirklich Orte der Verbundenheit sein zu können.
Locker geschrieben, könnte man die Lektüre fast als unterhaltsam bezeichnen, wäre das Thema nicht so ernst. Die persönliche Ehrlichkeit der Autorin berührt, ohne unangenehm oder aufdringlich zu sein. Manchmal klingen allerdings die utopischen Töne etwas zu laut und der feste Glaube an die Selbstwirksamkeit des Einzelnen, der sich nur aus seiner selbstverschuldeten Einsamkeit befreien müsse, um glücklich zu werden, befremdet. Nicht jede Katastrophe führt Menschen zusammen, und manchmal reichen die persönlichen Ressourcen einfach nicht aus, um selbstbestimmt aus der Krise herauszufinden. Aber die Lektüre regt alle Glückssucher, die sich den Problemen unserer Zeit stellen wollen, dazu an, das eigene Leben kollektivistischer auszurichten und das persönliche Glück nicht am Ende des Regenbogens, sondern in einer funktionierenden Gemeinschaft zu suchen.
Claudia Mohr
Adventistischer Pressedienst Deutschland APD
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