Zu Beginn der Pandemie folgte den historisch schnellen wie hohen Kurseinbrüchen eine ebenso schnelle und zu neuen Höchstständen treibende Erholung, die ihre Ursache neben Impferfolgen vor allem in den konzertierten Hilfsaktionen von Notenbanken und Regierungen fand. „Insofern erleben wir aktuell eine Art Déjà-vu basierend auf Vertrauen in Notenbanken und Politik, man werde eine drohende Rezession schon abwenden. Zumindest erfährt das Hoffnungsszenario von nur ‚temporären Verwerfungen‘ analog 2020 erneut große Beliebtheit“, so Böckelmann.
Die großen Megatrends bleiben weiter intakt: von demographischen Aspekten über technologische Erneuerung bis zur Ressourcenschonung. Allerding dürften sie in einigen Bereichen eine Entschleunigung, in anderen eine Beschleunigung erfahren.
Ausweglose Situation der Notenbanken?
Nicht alle Notenbanken sind in der komfortablen Situation wie die chinesische, findet Böckelmann: „Diese hat bislang skeptisch auf die Gelddruck-Initiativen des Westens gegen immer neue Krisen der letzten Jahre geblickt und sich ihr Pulver weitgehend trockengehalten.“ So stecken heute vor allem die US-amerikanische FED und die europäische EZB in einem Dilemma. „Entweder sie riskieren bei zu zaghaften Zinsanhebungen eine Ausweitung der Inflation mit etwaigen Zweitrundeneffekten wie Preis-Lohn-Spiralen oder die Weltwirtschaft schwächenden politischen Entwicklungen sind bereits derart intensiv, dass jede Zinssteigerung diese Abschwächung verstärkt“, erläutert der Experte.
Geldpolitik fehle es an Wirksamkeit, wenn Inflation wie infolge der Pandemie und des Krieges vorwiegend angebotsinduziert ist. Zinsanhebungen wirken nachfrageschwächend und daher abkühlend, aber eine sich überhitzende Nachfrage sei nicht das Problem. „Es ist vielmehr die durch langjährige Unterinvestitionen, beeinträchtigte Lieferketten und Sanktionen bedingte Unterversorgung mit zahlreichen Rohstoffen – von Getreide für die Lebensmittelbranche, Neon und Nickel für die Halbleiter- und Energiespeicherbranche bis hin zu Öl und Gas“, weiß Böckelmann.
Dabei darf der weltwirtschaftliche Effekt nicht nur auf den aktuell reduzierten Welthandel kleingerechnet werden. „Die fehlenden Rohstoffe bilden oft die Grundlage für die Wertschöpfung anderer hochwertigerer Produkte – deren Gesamtwert der Wirtschaft dann fehlt“, so der Finanzexperte.
Böckelmann ist der Meinung, dass die Notenbanken vor einer Schlüsselfrage stehen: Sind die Auswirkungen des Krieges analog der Pandemie eher temporär oder stellen sie eine langfristige Belastung dar? Bei letzterem würden Zinsanhebungen schaden, da die Inflation quasi von selbst rückläufig wäre. „Die globalen Anleihemärkte preisen bereits einen geldpolitischen Fehler zu vieler Zinserhöhungen der Notenbanken ein – die Zinskurve ist über alle Laufzeiten nahezu flach, manche Marktteilnehmer gehen ab 2023/2024 wieder von sinkenden Zinsen angesichts der drohenden Rezession aus,“ fasst Böckelmann die aktuelle Situation zusammen.
Drohende alte Verhaltensweisen
Nach Ansicht des Portfoliomanagers wurde die westliche Politik durch Russlands kriegerischen Akt wachgerüttelt und zeige sich auf den ersten Blick vergleichsweise geeint und somit gestärkt. „Dies gilt insbesondere für Europa, welches sich in Ignoranz vor oder in Ermangelung echter Probleme vor allem auf die Ausweitung der Bürokratie konzentrierte. Erstmals scheint ein Ruck durch die Nationen zu gehen, der langfristig positive Impulse freisetzen kann, falls man nicht schnell wieder in alte Verhaltensweisen zurückfällt“, so Böckelmann.
„Auf den zweiten Blick gibt es erwartungsgemäß unterschiedliche Auffassungen, die Sanktionen wirken unabgesprochen und folgen oft eigenen Interessen. Viele aktuelle Ungereimtheiten sind der unübersichtlichen Situation und Fehlentscheidungen der letzten Jahre geschuldet und bedürfen einer schnellen Korrektur“, kommentiert der Finanzexperte Europas Sanktionsmaßnahmen.
Der Finanzexperte geht davon aus, dass die westliche Politik alles daransetzen werde, eine Rezession zu vermeiden – erneute Fiskalpakete historischen Ausmaßes hält er für sehr wahrscheinlich. In Bezug auf die Inflation zeigt er sich sogar hoffnungsvoll: „Die gestiegene Inflation macht die steigende Schuldenlast langfristig auch erträglicher, sollten die Zinsen nicht übermäßig steigen.“
Augen zu und durch?
Laut Böckelmann könnte das optimistische Verhalten der Aktienmärkte in den letzten Wochen mit den erwarteten Fiskalpaketen und dem Ausblick auf nicht dramatisch steigende Zinsen erklärt werden. Ein potenzielles Stagflationsszenario würde allerdings eher dafür sprechen über einen noch unbestimmten Zeitraum mit einer stark volatilen Seitwärtsbewegung rechnen zu müssen. „Daher bleiben aktive Selektion und Flexibilität die Schlüssel für den Investmenterfolg in den kommenden Monaten,“ so der Experte abschließend.
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